VON FREMDEN LÄNDERN UND MENSCHEN
Die Flucht in die Fremde.
Das Wort „Heimweh“ ist erstaunlich jungen Datums. Es erscheint erstmals 1651 in Krankheitsberichten über Schweizer
Soldaten, die damals in zahlreichen europäischen Armeen als Söldner dienten. Die gegensätzliche Prägung „Fernweh“ ist noch ungleich jüngeren Datums. Sie ging als stehender Begriff erst Mitte des 19. Jahrhunderts in den deutschen Sprachschatz ein, vermutlich eng verknüpft mit der ersten großen Auswanderungswelle nach Amerika und besonders dem berüchtigten „Goldrausch“ von 1848; wobei zugleich die großen technischen Fortschritte im Schiffsverkehr die Überfahrt erschwinglich, komfortabel und damit doppelt verlockend machten. Zum touristischen Standardbegriff
wurde das „Fernweh“ allerdings erst in den Werbestrategien des späten 20. Jahrhunderts.
Königliche Utopien.
Die architektonischen Träume des Bayernkönigs Ludwig II. hingegen glichen zunächst eher Zeitreisen in ein romantisch verklärtes Mittelalter bzw. ins Versailles von Ludwig XIV. Aber schon bald erdachte sich der Monarch auch Schlossprojekte, die ihm ferne Lebenswelten illusionistisch nahebringen sollten. So plante er zum Beispiel, einen byzantinischen und schließlich gar noch einen chinesischen Palast mitten ins bayerische Graswangtal zu setzen. Und als seine architektonischen Fantasien an der finanziellen Realität zu scheitern begannen, erwog er allen Ernstes, seine Hauptresidenz nach Teneriffa oder auf eine andere der kanarischen Inseln zu verlegen. Womit sich seine kühnen Utopien einmal mehr als Vorwegnahme moderner Touristenträume erwiesen.
Von fremden Ländern und Menschen.
Als Robert Schumann 1838 die „Kinderszenen“ komponierte, spielte er deren Qualität und Bedeutung gegenüber seiner Freundin und künstlerischen Partnerin Clara Wieck zunächst herunter: „Da hab ich an die 30 kleine putzige Dinger geschrieben, vondenen ich etwa zwölf ausgelesen und Kinderszenen genannt habe.“ Diese Äußerung verschweigt, dass es sich bei den vorliegenden Miniaturen keineswegs umharmlose Übungsmusik für Klavierschüler handelte, sondern um winzige Kunstwerke für Erwachsene, welche gehalten sind, die „Seele“ der Kindheit in sich selber aufzufinden. Das Eröffnungsstück „Von fremden Ländern und Menschen“ steht dabei gleichsam als Motto über der Serie; und seine erstaunlichste Tugend ist es, dass es nicht mit musikalischen Exotismen prahlt, sondern sich ganz und gar in die kindliche Gedankenwelt jener Epoche einfügt.
Eine Weltreise in Tönen.
Die Herrenchiemsee Festspiele 2015 bedienen sich des Schumann-Mottos, um Musik rund um den Globus vorzustellen – ohne ihren „Schirmherrn“ Ludwig II. dabei je aus dem Blick zu verlieren. Bereits der obligate Eröffnungsabend mit vier Bach-Kantaten zitiert den Zug der Weisen von Saba nach Bethlehem. Ein ebenso ungewöhnliches wie kühnes Programm vereint venezianische und türkische Musik zur Seeschlacht von Lepanto. Smetanas Hymne auf sein t schechisches „Vaterland“ erklingt ebenso wie Purcells britischer „King Arthur“ und Puccinis Auswanderer-Oper „Manon Lescaut“. Felix Mendelssohns „Schottische Symphonie“ darf ebenso wenig fehlen wie Musik der russischen Meister Mussorgski und Tschaikowski. Und als Wiederaufnahme einer umjubelten Aufführung von 2012 erklingt Robert Schumanns weltlich-exotisches Oratorium „Das Paradies und die Peri“.