Motto 2014

SON et LUMIÈRE

Ein königlicher Traum. Im Spätsommer 1884 erfüllte sich Ludwig II. einen Traum, der ihn seit langem umtrieb. Im Park des „Neuen Versailles“ auf Herrenchiemsee sollte eines der abendlichen Hoffeste wiedererstehen, wie sie Ludwig XIV. vormals inszenierte – nun jedoch gestaltet mit den Mitteln fortschrittlichster Technik. So wurde die gigantische Baustelle rund um das Schloss mit den Kulissen einer Parklandschaft verdeckt. Ein Güterzug aus Holland brachte Blumen und Rabatten. Dann installierte Bayerns führender Elektrotechniker Alois Zettler mit einer Unzahl synchron steuerbarer Farbscheinwerfer die vermutlich erste Open-Air-Showbeleuchtung der Weltgeschichte. Der Cheftechniker des Münchner Hoftheaters Karl Lautenschläger entwarf dazu eine ausgefeilte Licht- und Klangregie.

Son et lumière. An einem lauen Septemberabend traf der König auf der Herreninsel ein, genoss im Dämmerschein den Anblick des noch unbeleuchteten Schlosses und ließ sich dann bis tief in die Nacht von einem sinnverwirrenden Gesamtkunstwerk aus Musik und Illumination bezaubern. Mit dieser einzigartigen Inszenierung nahm er zugleich, ohne es zu ahnen, eine Veranstaltungsform vorweg, die ein Jahrhundert später zum Herzstück der Event-Kultur mutieren sollte: „Son et lumìere“ – also jene künstlerische Kombination aus Licht und Klang, ohne die heute eine stimmungsvolle Schlosshof-Serenade so wenig auskommt wie ein Rock-Konzert.

Das Licht der Aufklärung. Den Herrenchiemsee Festspielen ist es zum 130. Jubiläum des Ereignisses ein Anliegen, an den Ursprung dieser Licht- und Klang-Spektakel in Ludwigs phantastischen Königsträumen zu erinnern. Zudem verbirgt sich im Begriff „Son et lumière“ ein reizvoller Doppelsinn. Die führenden Köpfe der französischen Aufklärung von Jean-Jacques Rousseau und Denis Diderot bis Voltaire betrachteten ihr Anliegen nämlich als „la lumière“, als die Erhellung einer von den Mächtigen im Dunkel der Unwissenheit gehaltenen Gesellschaft. Rousseaus Parole „Zurück zur Natur“ griff denn auch weit über die neue LandschaftsÄsthetik der „englischen Gärten“ hinaus. Sie zielte auf eine politische und soziale Umwälzung aller Lebensbereiche.

Inspiration Musik. Es wäre anmaßend, Ludwigs „Son et lumière“ von 1884 technisch rekonstruieren zu wollen. Allein die lückenhafte Dokumentenlage schließt dies aus. Die Herrenchiemsee Festspiele reflektieren deshalb mit musikalischen Mitteln all jene Aspekte, die des Königs Inspiration beflügelten: Serenaden und Nachtmusiken, tönende Naturbilder zwischen Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ und Beethovens „Pastorale“, LandschaftsImpressionen von Berlioz’ Symphonie „Harold in Italien“ – bis hin zu Robert Schumanns „Rheinischer“. Die theologisch tiefgründige Metaphorik von Bachs Abend-Kantaten zählt ebenso zum Motto wie Mozarts unbeschwerte „Kleine Nachtmusik“, und musikdramatisch wölbt sich der Bogen vom Licht- und Freiheitsjubel in Beethovens „Fidelio“ bis hin zum Elfenspuk in Mendelssohns „Sommernachtstraum“.